Vor zwei Wochen fand die Haymat Ost Konferenz in den schönen Räumlichkeiten des Theaters der jungen Welt in Leipzig statt.
Haymat statt Heimat – unter diesem Begriff findet seit einigen Jahren die Haymat Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt und mahnt an, das Konzept von Heimat in Frage zu stellen.
Heimat beschreibt im gängigen Gebrauch in Deutschland zumeist eine romantisierte Beziehung zwischen Mensch und Raum beschreibt, die von Verbundenheit und Vertrautheit erzählt und dem ein Hauch von „an einem Ort niederlassen und sich geborgen fühlen“ innewohnt. Was bedeutet Heimat in einer Gesellschaft der Vielfalt, in der die Geschichte von Migration, Flucht und Kämpfen um Teilhabe jedoch zu oft unsichtbar gemacht wird?
Unter dem Begriff Haymat soll Raum für Geschichten eingeräumt werden, die ebenfalls Teil der deutschen Geschichte sind, aber zu selten Aufmerksamkeit bekommen. Auf der diesjährigen Haymat Ost Konferenz in Leipzig lag der Fokus auf der Migration und den migrantischen Kämpfen des Ostens – also in den neuen Bundesländern in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.
Auch wenn Migration fester Bestandteil der ostdeutschen Gesellschaft war und ist und diese entschieden mitprägte, stellen die Perspektiven und Lebensrealitäten dieser Menschen mit Migrationsstelle nach wie vor eine Leerstelle in Politik und im (historischen) Selbstverständnis der ostdeutschen und gesamtdeutschen Gesellschaft dar, hieß es in der Einladung zur Konferenz.
Das Projekt JUGENDSTIL* durfte als Kooperationspartner Teil dieser Konferenz sein, in der die Kontinuität von migrantischen, bzw. postmigrantischen Kämpfen sichtbar gemacht und die Möglichkeit geboten wurde, uns zu vernetzen, auszutauschen und voneinander zu lernen. Als ein Projekt, das (post-)migrantisches Engagement in Ostdeutschland fördert und junge Menschen in ihrem Kampf um Teilhabe in der Gesellschaft unterstützt, war es eine besondere Freude für uns, teilzunehmen.
Das Programm fing am Freitag mit einer einleitenden Begrüßung von Lydia Lierke an, die uns die Bedeutung des Zusammenkommens erklärte. Im Vorfeld wurden migrantische, postmigrantische und antirassistische Akteur*innen und Initiativen des Ostens eingeladen. Der große Saal war gefüllt mit Menschen, von denen einige über das Wochenende zu neuen Verbündeten werden sollten. Neben diesen Akteur*innen waren auch viele Personen aus der Zivilgesellschaft vor Ort, die an dem Wochenende gerne zuhören und dazu lernen wollten. Bei über 140 Teilnehmenden wurde deutlich, wie groß das Interesse ist.
Nach der Begrüßung fand unter dem Thema „Der Osten bleibt Migrantisch!“ eine szenische Lesung statt, in denen Gäst*innen die Bühne bekamen, um von ihren Erfahrungen zu erzählen. Die Auftritte der Gäst*innen zeigte, wie vielfältig doch der Begriff der „Migrationsgeschichte“ ist. Darunter waren Francisca Raposo, eine ehemalige Schülerin der „Schule der Freundschaft“, Vu Thi Hoang Ha und Christian Hernán Gárate, beides Autor*innen des Buches „Die DDR schien mir eine Verheißung.“ Sie erzählten über die Zeiten, als sie in die DDR kamen, über vergangene Überraschungen und Hürden. Landouma – eine Kunstfigur, die zwischen Konfetti und sächselndem Dialekt feministische und antirassistische Gedichte vortrug und Yasemine Said, die in ihrem berührenden Text über die Gefühle aus einer Position erzählt, die nicht der Position der Gegangenen, Vertriebenen und Ahnen gleicht.
Beendet wurde der Tag mit einem gemeinsamen Abendessen in den Räumlichen der Casa – Die ganze Bäckerei, dem ersten BiPoC-Wohnprojekt in Leipzig.
Mit der Lesung „Haymat – Wo die Gesellschaft der Vielen zu Hause ist“ wurde der nächste Tag der Konferenz eingeläutet. Ab 11 Uhr gab es zwei Workshop Blöcke mit einer großen Auswahl mit tollen Referent*innen. Als Beispiel gaben Kurator*innen der Ausstellung „offener Prozess“, welche auch als Satelliten-Ausstellung auf der Konferenz zu finden war, einen Einblick in die erinnerungspolitische Aufarbeitung des NSU Prozesses in Sachsen. In einem Erzählcafé gaben Francisca Raposo und Angelika Nguyen tiefere Einblicke in die Migration in die DDR und zurück. Am Nachmittag gab es unter anderem die Möglichkeiten, sich als Akteur*innen zum Thema „postmigrantische Kulturräume“ zu vernetzen.
JUGENDSTIL* kuratierte das Foyer in der Etage 1 im Theater der jungen Welt. Dort gab die Gelegenheit, Initiativen, Projekte und Vereine aus Ostdeutschland und ihre Arbeiten kennen zu lernen.
Der Raum war während den Workshopphasen geöffnet.
Teilnehmende bekamen dort die Wanderausstellung des Verbands binationaler Familien e.V. zu sehen, die Arbeiten aus ihrem neuen Buch P wie Protest zu zeigen – ein Widertandswörterbuch in Bildern.
Auch waren migrantische Landesverbände vor Ort, wie MigraNetz Thüringen und der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen, den Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland – DaMOst, die wichtige Arbeit in der Interessenvertretung von Menschen mit Migrationsgeschichte auf politischer Ebene übernehmen.
Besonders haben wir uns gefreut, dass sich auch geförderte Initiativen und Projekte ihre Arbeit vor Ort präsentierten. Das LIAA – Kollektiv stellte die frisch bestellten Bücher zum Stöbern auf, eine Initiative, die in Leipzig eine Bibliothek für BiPoC, (post-)migrantische und Diaspora Literatur aufbauen.
Auch das Narratif-Magazin gab einen Preview für die erste Ausgabe „Dazwischen // In Between“, in denen Texte, Bilder und kreative Ergebnisse von Menschen, die sich als (post-)migrantisch, jüdisch und/oder Schwarz identifizieren.
Auch die Kunst junger Muslim*innen war mit dabei, ein Peer-to-Peer Netzwerk von jungen, muslimischen Kreativen, die Räume für die Kunst, junger Muslim*innen beanspruchen und schaffen.
Dazu gab es Musik, entspannte Sitzmöglichkeiten, Kaffee und marokkanische Süßigkeiten.
Insgesamt bot die Konferenz lehrreiche Workshops, schöne Möglichkeiten zum Austauschen, Kontakte knüpfen und Vernetzen an. Beim Abschluss Panel wurden nochmal spannende politische Ausblicke gegeben und zunächst die Situation (post-)migrantischer Kulturräume in Ost- und Mitteldeutschland, und im Anschluss die Möglichkeiten und Bedingungen für rassismuskritische Bündnisse diskutiert.
Auch an diesem Abend gab es noch die Möglichkeit für ein gemeinsames Abendessen in der Casa und die Möglichkeit, die zum Teil hitzigen Diskussionen und die vielen neuen Eindrücke bei einem Glas Wein gemeinsam ausklingen zu lassen und die neuen Bündnisse zu feiern.
Autorin: Quyên Vo, 22.10.2022