Am 9. Oktober 2019 verübte ein Attentäter in Halle einen schweren Anschlag auf die jüdische Gemeinde und den Kiezdöner. Gemeinsam mit einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis u.a. Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage, Mobile Opferberatung, Miteinander e.V., LAMSA e.V. und die Initiative 9. Oktober, haben wir ein Jahr danach der Opfer gedacht. Zusammen mit jungen Menschen aus Ostdeutschland sowie Bürger*innen aus Halle zeigten wir Solidarität mit Opfern und Betroffenen von Rassismus und Antisemitismus.
An dem Tag stand das Gedenken an die Opfer im Vordergrund. Doch auch ein Jahr nach dem Anschlag in Halle sind viele Menschen in Deutschland tagtäglich mit rassistisch und antisemitsch motivierten Anfeindungen konfrontiert.
Was sind die Ursachen von Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit? Wie gehen wir in Zukunft damit um und welche wirkungsvollen Strategien können wir dagegen entwickeln? Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang gesellschaftliches Engagement?
Um diese Fragen kreiste eine Gesprächsrunde junger Engagierter aus Sachsen-Anhalt mit der Landesintegrationsbeauftragten Susi Möbbeck. Um jungen Menschen mit internationaler Geschichte Raum für ihre Meinungen zu geben, luden wir sie am Gedenktag zu einem Treffen ein. Es entspann sich eine angeregte Diskussion, insbesondere über selbst erlebte Hürden im Engagement der eingeladenen Jugendlichen. Eine gute Gelegenheit, um mit der Staatsekretärin ins Gespräch zu kommen und gleichzeitig Ideen für weitere Aktionen zu schmieden.
Am Steintor – einem der vielen Orte der Erinnerung und der Solidarität, die das Bündnis in Halle initiiert hatte – gestalteten wir ein Begegnungszelt mit. Dort luden wir Passant*innen ein, ihre Gedanken und Gefühle die sie bewegen, mit uns zu teilen. Zahlreiche Blätter füllten sich so mit Solidaritätsbekundungen an die Opfer und Betroffenen des Anschlags, mit eigenen Erfahrungsberichten, Sorgen, Ängsten – und Hoffnungen.
Über Auszüge aus Interviews, die wir für JUGENDSTIL*geführt haben, kamen wir mit vielen Menschen ins Gespräch. An den berührenden Bekenntnissen konnte kaum jemand vorbeigehen: Sie enthielten Zitate aus intensiven Gesprächen junger Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte, die in Ostdeutschland leben. Einige der Interviewten waren mit vor Ort. In Absprache mit ihnen hatten wir uns entschieden, diese Aussagen anlässlich des Gedenktages auszustellen. Denn solche menschenverachtenden alltäglichen Ausdrücke von Rassismus und Diskriminierung sind es, die sichtbar gemacht und nicht geduldet werden dürfen:
„Dann hatten wir wieder Judentum in Religion und ich wurde dann auf meine Kette angesprochen und habe gesagt: Ja, ich bin jüdisch. Und dann haben vier Jungs mich richtig krass angefangen zu mobben. Und als dann noch die Flüchtlingswelle kam, wurde ich auch als Flüchtling und Ausländerin wahrgenommen und ich wurde von Mitschülern beleidigt und rumgeschubst, die sind mir gefolgt und haben mich zum Weinen gebracht mit Worten wie: Ab ins Boot mit ihr, sonst schwemmt sie uns weg mit ihren Tränen. Ich wurde per WhatsApp von einem Hardcore rechten Jungen schikaniert. Der hat mir Hitler-Bilder geschickt und mir zum Geburtstag geschrieben: Wenn ich könnte, würde ich dir eine Gasdusche schenken! […] In der Zeit damals bin ich in tiefste Depressionen versunken, denn ich habe geglaubt, was die Menschen gesagt haben und mich selbst dafür gehasst.“
Julia, 17
Der Gedenktag am 9. Oktober 2020 in Halle zeigte viel Wut und Betroffenheit, gleichzeitig aber auch viel Mut, Solidarität und Zusammenhalt. Das gibt Kraft und die Hoffnung auf eine starke Zivilgesellschaft, die sich künftig einsetzt für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in Ostdeutschland.