Taudy Pathmanathan und Tamer Düzyol organisierten 2016 und 2017 (post)migrantische Veranstaltungen in Erfurt, im Herzen von Thüringen. 2018 veröffentlichten sie den antirassistischen Gedichtband „HAYMATLOS“, der Gedichte zu Rassismus, Diskriminierung, Identität und weiteren Themen sammelt. Hier erzählen sie euch ihre Geschichte.
Wie alles begann…
Taudy: Tamer und ich waren noch nicht so richtig befreundet, als wir die Idee für die Veranstaltungen in Erfurt hatten. Auf einer WG-Party sind wir ins Gespräch gekommen als Tamer von einer Veranstaltung in München berichtete.
Tamer: Ich hatte vor wenigen Tagen eine Buchvorstellung in München besucht. Tunay Önder und Imad Mustafa hatten ihr Buch „Migrantenstadl“ vorgestellt. Die Veranstaltung wurde in einem Raum veranstaltet, der „Köşk” heißt. Die Atmosphäre hatte eine ausgelassene Stimmung, die Menschen waren divers. Ich habe mich total wohl gefühlt. Die Buchlesung hatte bei mir ein gutes stärkendes Gefühl hinterlassen.
Taudy: …solch eine Atmosphäre, solch eine Veranstaltung, einen safer space, also einen geschützeren Raum, wo wir nicht mit Blicken oder rassifizierenden Sprüchen begegnen, kannten wir aus Erfurt nicht.
Auf der WG-Party verabredeten wir uns zu einem Austausch, um zu gucken, ob und was wir gemeinsam machen könnten. Dabei war das Ergebnis ganz offen. Vielleicht war das Treffen einmalig oder vielleicht wäre ein Lesezirkel herausgekommen.
Tamer: Als wir dann in dieser einen Künstler:innenbar in Erfurt saßen, da haben wir ziemlich schnell gemerkt, dass wir uns auf einer persönlichen Ebene gut verstehen und dass wir etwas machen wollen, woran viele Menschen teilnehmen können. Und das wir bestimmte Themen mit einem emanzipatorischen Anspruch in die Stadt bringen wollen. Auf einer Papiertüte, die entweder Taudy oder ich in der Jackentasche hatten, schrieben wir Namen von Personen auf, die wir einladen wollten. Wir wollten Veranstaltungen organisieren und diese Veranstaltungen in das Zentrum der Stadt setzen. Wir schrieben uns mögliche Geldgeber auf, denn für Veranstaltungsorte, Honorare, Reise- und Unterbringungskosten und Flyer braucht man Geld. Aus eigenen Möglichkeiten hätten wir die Veranstaltungsreihen, die wir dann am Ende auf die Beine gestellt haben, nicht finanzieren können.
Taudy: Wir hatten verschiedene Künstler:innen, Autor:innen und Aktivist:innen in unseren zwei Veranstaltungsreihen eingebunden. Um einige Namen zu nennen: Firas Alshater, Idil Baydar aka Jilet Ayşe, Cana Bilir-Meier, Sharon Dodua Otoo, Babak Ghassim, Imad Mustafa, Tunay Önder, SchwarzRund und Ususmango.
Es ging uns darum, Themen mit einer emanzipierten Deutungshoheit zu setzen und ihnen Raum zu geben.
HAYMATLOS – den Lyrikkanon verändern
Taudy: Nach der zweiten Veranstaltung standen wir vor der Frage: “Wie weiter?” Zum einen hatten wir das Gefühl, dass wir mit unseren Veranstaltungen vielen Gesellschaftsgruppen und auch uns etwas Gutes tun. Aber wir beide waren auch ein wenig müde. Die viele Arbeit, die hinter den Veranstaltungen stand. Wir beide hatten ja Jobs und hatten die Veranstaltungsreihen in unserer Freizeit organisiert und durchgeführt. Ob wir statt einer Veranstaltung mit einem Buchprojekt beginnen, beschäftigte uns.
Tamer: Wir hatten jede Veranstaltung mit einem lyrischen Text von uns begonnen. Eine Teilnehmerin meldete sich mit einer E-Mail bei uns. Sie hatte uns einen Text geschickt, der ihre Gedanken widerspiegelte. Sie gab uns den Text zur freien Verfügung. Wir dachten uns, dass es viele Menschen mit Rassismuserfahrungen geben muss, die ihre Gedanken und Erfahrungen über das Schreiben verarbeiten. So entstand die Idee eines Gedichtbandes, der (post)migrantische Stimmen sammelt, die individuell, kollektiv und historisch von Rassismus betroffen sind.
Taudy: Obwohl wir uns sehr unsicher waren, ob sich ein Verlag oder auch Leser:innen für unser Buchprojekt interessieren, haben wir unsere ganze Energie in unser Vorhaben gesteckt. In Erfurt wollten wir mit unseren Veranstaltungen einen safer space schaffen, weil Erfurt nur sehr wenige geschützte Räume für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, hat. Aber wie schaffen wir geschützte Räume im ländlichen Raum, in Gera, Gotha oder sonstwo. Die Buchidee schien uns immer mehr auch als Schutzraum-to go zu gefallen. Ja, das wollten wir! Nun existiert der Gedichtband seit 2018 und wir bekommen immer noch sehr cooles Feedback von Leser:innen.
Perspektiven sichtbar machen
Tamer: Auch wenn Taudy und ich nun nicht mehr in einer Stadt leben, besprechen wir häufig mögliche Projekte, die wir zukünftig angehen wollen. Dabei stellen wir uns häufig die Frage: Wieso? Wieso bemühten bzw. bemühen wir uns in unserer Freizeit mit solchen Projekten.
Taudy: Auf unserer Suche nach einer Antwort auf diese Frage gibt es viele Antworten, die wichtigste ist für uns, Sichtbarkeit. Sichtbar werden. Wir wollen mit unseren Perspektiven sichtbar werden, gesehen, wahrgenommen werden, ernst genommen werden. Wir sind unter Euch! Seht uns und nimmt uns ernst.
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