JUGENDSTIL* trifft… Politik und Stiftungen am 25.08.2023

Berlin, 25.08.2023, Palais am Festungsgraben: JUGENDSTIL* trifft… Politik und Stiftungen. Was das Besondere daran ist? Das Format selbst. Bei JUGENDSTIL* trifft… Politik und Stiftungen treffen die jungen engagierten Expert*innen aus unserem Netzwerk nicht einfach auf Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und Stiftungen, sondern es kommt zu Gesprächen, die  mehr sind als small talk.

Wie sieht sie aus, die „Ostmigrantische Lebensrealität“? Aus der bisherige Arbeit von JUGENDSTIL* ergaben sich mehrere Annahmen, die es in dieser Veranstaltung/ auf diesem Panel zu überprüfen galt. Eindringlicher jedoch die Selbstauskünfte der jungen Menschen, die mit ihren Ideen und Projekten in ihrem Lebensumfeld wirken: Gerade in Ostdeutschland und abseits der Großstädte stehen die Initiativen oft alleine, als einzige migrantische Initiative da. Hinzu kommt nicht selten fehlendes Vertrauen in potentielle Partner*innen der weißen Mehrheitsgesellschaft oder auch die Frustration, andauernd auf die eigene Geschichte reduziert zu werden. Und die Frustration wächst noch an, wenn die (post-)migrantischen Initiativen die einzigen sind, die zu entscheidenden Gedenktagen Veranstaltungen organisieren oder dazu aufrufen. Selten erfolgen Einladungen zu extern organisierten Veranstaltungen oder zu Themen abseits von Migration.

© Khaled Al Saadi

„Einzigartige Probleme, die einzigartige Lösungen fordern“

Mit wem sich vernetzen, wenn es Gleichgesinnte scheinbar nur in überschaubarer Zahl gibt und mit wem reden, wenn Gesprächsangebote häufig eher als monologisch erlebt wurden? Das Gefühl des Alleingelassenseins kann lähmen. So werden die Expert*innen aus den Initiativen häufig müde davon, immer wieder ihre Probleme erzählen zu müssen und dennoch keine zugewandte Reaktion bzw. Veränderung zu sehen.

Mit dem Projekt JUGENDSTIL* tragen wir dazu bei, diesen Zirkelschluss zu durchbrechen: Lokale und überregionale Vernetzung entwickelt sich aus der Kenntnis von- und übereinander, Empowerment  erwächst aus gezielten Bildungs- und Beratungsangeboten, aus der konkreten Unterstützung durch den Ideenfonds, aus der Sichtbarmachung von Wirkungen und Ergebnissen. Und daraus, dass die eigene, die Perspektive der engagierten Initiativen Gehör findet, Grundlage eines auch streitbaren Dialogs wird, wie z.B. bei  JUGENDSTIL* trifft … .

Veränderungen erhoffen sich die Vertreter*innen der Initiativen vor allem auch in der Förderlandschaft. In dieser ließen sich zwei grundlegende Probleme identifizieren: Die Ansprache der Initiativen und die Engagementstrukturen, die letztendlich in der Schwierigkeit enden, langfristige Finanzierung oder überhaupt Finanzierungen zu erhalten. Viele Initiativen fühlen sich von aktuellen Ausschreibungen nicht angesprochen. Das kann an Sprache und Formulierungen, an gesellschaftlicher Positionierung oder dem Selbstbewusstsein der Gruppe liegen. Oft fehlen zudem role models und damit Ermutigungen durch erfolgreiche Beispiele aus der Community. Hier setzt JUGENDSTIL* mit der Sichtbarmachung von (post-) migrantischem Engagement an.

© Khaled Al Saadi

„Wenn Politik dafür etwas Verständnis bekommt, wäre das schon ein ganz ganz großer Schritt“

Bewerbungen bleiben auch aus, weil die geforderte Rechtsform nicht vorliegt, die als Voraussetzung für die Förderung gilt. Immer mehr Initiativen wählen bewusst flexible Engagementstrukturen, während viele Förderprogramme in bisherigen Strukturen bleiben und für die dynamisch-flexiblen Initiativen zu starr erscheinen. Hier braucht es Ideen für eine zeitgemäße Förderung in der sich verändernden Engagementszene. Denn letztendlich ist die finanzielle Förderung ein Schlüssel zur Verstetigung und gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme.

Konsens bestand darüber, dass Strukturen benötigt werden, die die Prozesse neu gestalten können. Dabei haben Modellprojekte wie JUGENDSTIL* eine essentielle Wirkung. Förderinstitutionen müssen in das konkrete Handeln kommen und Sensibilität dafür schaffen, was die Themen vor Ort sind. Programme können beispielsweise mit (post-) migrantischen Organisationen gemeinsam gestaltet werden. Es braucht Dialogräume, für die sich auch einzelne Stiftungsvertreter*innen selbst in der Verantwortung sehen, diese Räume schaffen und die Themen auf die Stiftungsagenda bringen wollen. Eine Beteiligung an der Programmentwicklung scheint essentiell, um echte Partizipation zu bieten und niedrigschwellige, bedarfsorientierte Angebote zu schaffen.

„es gibt einfach keine Räume, wo man sich richtig sicher fühlt.“

Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt lag auf Empowerment- und Resonanzräumen, deren wesentliche Rolle auf unterschiedlichsten Ebenen deutlich herausgestellt wurde. Sichere Austauschräume sind der Schlüssel zur Stärkung der Engagierten, zur Vernetzung und damit letztendlich zur strukturellen Nachhaltigkeit des Engagements. Die Initiativen brauchen geschützte Räume, zum Arbeiten, zum Austauschen, zum gegenseitigen Empowern. Räume, in denen keine Erklärungen notwendig sind. Räume zum persönlichen Ankommen, zum Vernetzen, ohne Mikroagressionen. Das Fehlen dieser Räume führt immer wieder zu Arbeit im Unsichtbaren, um sich vor Anfeindungen zu schützen. Damit wird jedoch die Akzeptanz der Gruppe und die Akquise neuer Mitglieder erschwert.

Die (Überlebens-) Notwendigkeit dieser Räume muss anerkannt und ihre Schaffung und Existenz unterstützt und gefördert werden.

© Khaled Al Saadi

Kalsoumy Balde (LIAA Kollektiv + Decolonize Zoo)

Von Vertreter*innen aus Politik und Wissenschaft wurde der 4. Engagementbericht der Bundesregierung thematisiert. Er beschäftigt sich dieses Jahr mit den Zugängen zum Engagement und den bestehenden Hürden. Migrationsgeschichte, soziokultureller Status sowie Geschlecht würden dabei ein Thema sein, genauso wie die in unserer Diskussion bereits angesprochenen Punkte Sprache, Anerkennung von Engagement, Verfügbarkeit von Räumen und struktureller Rassismus. Es besteht die Hoffnung, dass man sich langsam der Schwellen bewusst wird und diese bearbeitet.

„wir müssen Bündnisse schmieden, die so stark sind, dass sie unsere Demokratie verteidigen können“

Stefan Vogt (Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung)
© Khaled Al Saadi

Die von den Initiativen beschriebenen Hürden wurden auch von den Vertreter*innen aus Politik und Stiftungen mit großer Zustimmung anerkannt, auch sie formulierten den  Wunsch nach verstärkter Förderung von gesellschaftlicher Vielfalt und Diversität laut. Es herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass gesellschaftliches Engagement und seine Strukturen gestärkt werden müssen und dass es dazu eine deutlichere Unterstützung von Öffentlichkeit und Stiftungen braucht!

© Khaled Al Saadi

„gesellschaftlicher Wandel passiert nur, wenn die Dominanzgesellschaft das versteht und mitmacht. Der kommt nicht, wenn die marginalisierten Menschen immer wieder sagen, es soll sich ändern.“

Wir bleiben dran und uns bleibt bewusst: Wir müssen gemeinsam an den Strukturen arbeiten und gemeinsam etwas verändern. Nicht die migrantischen Organisationen alleine, sondern ganz besonders vielleicht gerade die weißen Personen, die Entscheidungsträger*innen in Stiftungen und Politik. Wie ein Vertreter der Initiativen abschließend feststellt und dabei zustimmenden Applaus bekommt:

„Alle Verordnungen können geändert werden. Sie sind ausgedacht. Nicht gottgegeben. Wir müssen es nur anpacken und wollen.“

Mit dieser Hoffnung und Entschlossenheit, etwas zu bewegen und gemeinsam die Zukunft zu gestalten, gehen wir aus dieser Veranstaltung. Wir als JUGENDSTIL* werden weiterhin daran festhalten, solidarische und sichere Räume zu schaffen, die Engagementstrukturen nachhaltig zu unterstützen und die Arbeit ostmigrantischer Initiativen sichtbar zu machen.

© Khaled Al Saadi

Danke an alle Beteiligten und besonders an die Expert*innen aus den Initiativen Leonel Richy Andicene, Kalsoumy Balde, Lan Mi und Franziska Nguyen, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben und an Arian Darat für das Moderieren der Diskussion!